Ein Gespenst geht um in Europa, die unvollendete Frauenbewegung
– in verschmitzter Abwandlung eines klassischen Marx-Zitats haben die Autorinnen Sonja Kmec, Nadine Geisler, Renée Wagner, Colette Kutten und Claudia Lenz, in Zusammenarbeit mit dem Luxemburger Frauendokumentations-zentrum Cid femmes (Centre d’information et de documentation des femmes Thers Bodé), »Das Gespenst des Feminismus« vorgelegt, eine vielschichtige Darstellung der Luxemburger Frauenbewegung.
Das Forschungsfeld der (regionalen) Frauenbewegungsgeschichte scheint in letzter Zeit wieder im Aufwind: so erschienen kürzlich sowohl eine Studie zur Münchner Frauenbewegung der 70er Jahre von Elisabeth Zellmer: „Töchter der Revolte?“ (München 2011) als auch von Rita Bake und Kirsten Heinsohn ein gut dokumentierter Überblick über 150 Jahre Hamburger Frauenbewegung: „Man meint aber unter Menschenrechten nichts anderes als Männerrechte“ (Hamburg 2012).
Das Großherzogtum Luxemburg mit seinen eher traditionellen Familienstrukturen, kulturell gleichermaßen geprägt von seinen französischen wie auch deutschen Nachbarn als auch einer frühen Einwanderungs- und EU-Geschichte, ist hier nicht ganz eindeutig zu verorten. Das macht die Lektüre des Sammelwerks besonders spannend. Auf den ersten Blick zeigt der Luxemburger Feminismus viele Gemeinsamkeiten mit vergleichbaren Entwicklungen in den Nachbarländern Deutschland und Frankreich. Das französische MLF (Mouvement de libération des femmes) war Inspiration und Namensgeberin der Anfänge in den Siebzigern, die mobilisierenden Themen Eherecht und Abtreibung, Sexualität und Gewalt, die Auseinandersetzungen und Fraktionierungen zwischen Frauen unterschiedlicher linker Strömungen und der Schwesternstreit zwischen Lesben und Heteras (die vor allem von Renée Wagner, Nadine Geisler und Sonja Kmec beleuchtet werden), kommen einer deutschen Feministin sehr bekannt vor. Auch die Geschichte der Institutionalisierung der Bewegung, die u.a. in Anti-Gewalt-Einrichtungen und einem Dokumentationszentrum für Frauen mündete (von Colette Kutten etwas detailverliebt nacherzählt), hat es vergleichbar in vielen deutschen Städten gegeben.
Aber es zeigen sich auch Unterschiede, vor allem im Wandel von der – Luxemburg-spezifisch gemäßigten Revolte – zum eher reformatorischen „Staatsfeminismus“, ein Wandel, der nicht von allen MLF-Aktivistinnen mitgetragen wurde. So zogen sich die lesbischen Feministinnen komplett zurück, ebenso eine Gruppe „ausländischer“ Frauen. Andere Akvistinnen wurden zu „Konsumentinnen“ des Feminismus. Dafür engagierten sich ungewöhnlich viele Lehrerinnen beim Aufbau des Frauendokumentationszentrums Anfang der Neunziger. Diese Gründerinnengeneration ist dem Cid-femmes zum Teil bis heute eng verbunden und prägt(e) eine pädagogische Grundorientierung des Zentrums, das sich stärker als vergleichbare Einrichtungen an Schulen und als Zielgruppe an Kinder und junge Frauen richtet.
Die Autorinnen, selbst zum Teil Zeitzeuginnen / Aktivistinnen, präsentieren anschauliches Archiv- und Fotomaterial aus dem MLF-Archiv der Jahre 1971-1992 und beziehen sich in ihren Darstellungen zudem auf die verschriftlichten Aussagen ehemaliger Aktivistinnen, die mittels dreier Erzählcafés mit jeweils 20 – 30 Teilnehmerinnen erhoben wurden. Auch eine künstlerische Ebene durchzieht das Buch. Hier sind zum einen die Collagen der MLF-Aktivistin Berthe Lutgen zu nennen, die die Gesamterzählung des Buches künstlerisch anspruchsvoll unterlegen.
Berührender Mittelpunkt des Buches sind sicherlich die ausdrucksstarken Foto-Porträts von 14 ehemaligen MLF- Aktivistinnen (Fotografin: Véronique Kolber). Etwas angehängt wirkt der abschließende Artikel der Politikwissenschaftlerin Claudia Lenz, die internationale feministische Entwicklungen, vom affidamento zur queer theory, beleuchtet. In ihrer Bezugnahme auf die Bedeutung von genderorientierter Geschichtsschreibung schließt sich der Kreis zur Luxemburger Frauengeschichte aber wieder. Eine Chronologie und ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis runden den Band ab.
Sowohl regional als auch inter/national, teils kritisch-analytisch, teils erfahrungs- und erinnerungsorientiert, spiegeln alle Beiträge die Vielfalt einer unabgeschlossenen feministischen Bewegung an einem spezifischen Ort und zu einer bestimmten Zeit (ca. 1970 – 2010) wider. Die wissenschaftliche Perspektive der Historikerin oder Politikwissenschaftlerin, die Erinnerung der Aktivistin, die Genauigkeit der Archivarin, die künstlerische Selbstreflektion mischen sich auf anregende und sich gegenseitig herausfordernde Art. Ein bewusst vielstimmiges Werk ist so entstanden, das die Gleichzeitigkeit von Historizität und Utopie eines unvollendeten Feminismus inszeniert, das Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Geschichtsschreibung offen legt und zum Weiterdenken bezüglich zeitgenössischer feministischer Praktiken anregt.
Sonja Kmec (Hg.) in Zusammenarbeit mit dem Cid-femmes:
Das Gespenst des Feminismus.
Frauenbewegung in Luxemburg gestern – heute – morgen
Marburg, Jonas Verlag 2012,
168 S., 25 €.
(Rezension von Annette Keinhorst, zuerst erschienen in ARIADNE 63, Mai 2013, S. 78/79)