Comeback einer Krimi-Ikone
Endlich sind sie wieder auf dem deutschen Buchmarkt, und dann gleich auf der Krimibestenliste in Dezember 2018: Sara Paretsky mit ihrer brillanten Ermittlerin V.I.Warshawski, genannt Vic. Paretsky erfand gewissermaßen das Genre des Frauenkrimis in den späten 1970ern, mit ihrer hartgesottenen Einzelkämpferin, Privatdetektivin Warshawski, die durchsetzungsstark und aus innerer Überzeugung das Böse in die Schranken wies. Das verbrecherische Böse richtete sich dabei meist gegen Frauen. Frauen sind bei Paretsky allerdings nie „nur“ Opfer männlicher Gewalt, oft geht es dabei auch um ökonomische Machenschaften, um Korruption, um Drogenkriege in den zugigen Straßen Chicagos, aber immer kämpft Vic für Gerechtigkeit und Genugtuung für Frauen.
Dem Argument Verlag mit seiner schon klassisch zu nennenden „ariadne“- Krimireihe verdanken wir nun diesen Coup: der mittlerweile 19. Roman der Krimi-Ikone erscheint endlich wieder auf Deutsch, ein 500 Seiten-Schmöker im schicken Hardcover, der die LeserIn von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann zieht.
Die erste Seite führt uns überraschenderweise in das Wien von 1913, wo ein kleines Mädchen sich Gedanken über die Farben des Lichts macht. Schnitt: wir sind in der amerikanischen Prärie der Jetztzeit: dort findet Vic auf der Suche nach einer vermissten Junkie-Frau eine männliche Leiche im Umfeld einer Drogenküche. Sie gerät mit Provinz-Sheriffs und Heimatschutz-Beamten aneinander, und kommt bei der Suche nach dem ebenfalls vermissten Sohn der Vermissten dem Chef eines IT-Unternehmens in die Quere. Ist die Gegenüberstellung von kaputter Drogenrealität in der amerikanischen Provinz auf der einen mit dem Wirken und Einfluss eines Hightech-Konzerns auf der anderen Seite schon atemberaubend, so wird es erst richtig spannend durch die Verschränkung mit der historischen Dimension. Die verschwundene Frau und ihr hochbegabter Sohn sind Nachkommen einer jüdischen Physikerin, deren Figur angelehnt ist an die reale österreichische Kernphysikerin Marietta Blau (1894-1970). Blau wurde mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen, dann als Jüdin in der Nazizeit verfolgt, rettete sich ins Exil in Mexiko und starb verarmt und vergessen in Österreich. So spielen dann auf einmal die deutsch-österreichische Atomforschung in der Nazizeit, das us-amerikanische Nachkriegsprogramm „Paperclip“ zur Einbürgerung ehemaliger Nazigrößen zwecks Unterstützung der antikommunistischen Raketen-Aufrüstung und nicht zuletzt Missachtung und Missbrauch eines weiblichen Genies eine zentrale Rolle bei der Aufklärung dieses opulenten Falles.
Ein echter Pageturner, nicht nur für feministische Historikerinnen und Paretsky-Fans.
Sara Paretsky: Kritische Masse. Roman. Aus dem Amerikanischen von Laudan & Szelinski. Ariadne Verlag, Hamburg 2018, 539 Seiten, 24 Euro.
(Rezension von Annette Keinhorst)